Was gegen Deinen Freiwilligendienst spricht ...
Wir wollen, dass Du eine wohlüberlegte, reife und freie Entscheidung triffst. Von daher begrüßen wir es, wenn Du Dich vor einer Bewerbung für einen internationalen Freiwilligendienst auch mit dessen potentiellen Schattenseiten und Gegenargumenten beschäftigst. Gerne listen wir sie hier auf:
Natürlich gibt es auch problematische Aspekte an Freiwilligendiensten im Globalen Süden und auch am weltwärts-Programm, ganz unabhängig von der Entsendeorganisation. Wir möchten, dass Ihr Euch gründlich mit ihnen auseinandersetzt und – im Bewusstsein dieser potentiellen Schwierigkeiten – eine gereifte Entscheidung trefft. Die häufigsten und durchaus berechtigten Kritikpunkte sind:
Die Freiwilligen sind meist keine Fachkräfte. [Logisch, es handelt sich ja auch um „entwicklungspolitische LERNDIENSTE für Jugendliche“, nicht um professionelle Entwicklungshilfe].
Sie sind ungelernt und bringen den Projekten auf den ersten Blick relativ wenig. Der Oberflächennutzen ist gering. [Umso wichtiger ist die Tiefenwirkung].
Gefahr des Sozialtourismus, Poverty Porns und „Ego-Trip ins Elend“ [dies wollen wir durch eine gute Vorbereitung, kritische Aufklärung und Sensibilisierung dringend vermeiden] Umweltverschmutzung: Wir reden von Umweltschutz und Nachhaltigkeit, aber unsere erste Amtshandlung als Freiwillige besteht darin, einen Langstrecken-Flug zu benutzen und für mächtig CO2 – Ausstoß zu sorgen.
Stereotype und Vorurteile können im schlimmsten Fall gestärkt statt abgebaut werden [hier ist die Vorbereitung und Reflexion entscheidend].
Mangelnde Symmetrie! Zu geringe Süd-Nord-Komponente. Es ist ungerecht! Warum ermöglichen wir nicht z.B. bolivianischen Jugendlichen einen FWD in Deutschland zu machen [Richtig, wir wollen in Zukunft auch REVERSE-FWD ermöglichen].
Geld & Spenden wären besser in einheimische Fachkräfte vor Ort angelegt: Allein die Flugkosten eines Freiwilligen entsprechen in etwa einem nicaraguanischen Jahresgehalt (1500€).
Besonders in der Anfangszeit gibt es Sprach- und Verständigungs-schwierigkeiten
Die deutschen Freiwilligen entfremden sich möglicherweise von ihren bisherigen Freunden in Deutschland und werden entwurzelt
Es wird unbequem: Kulturschock und Lernkurve erfordern ein hohes Maß an Anstrengung. Nach dem Abi wünschen sich viele Zeit, um einfach mal zu chillen.
Es bleiben Gefahren & Rest-Risiken, von Verkehrsunfall bis Naturkatastrophe.
Auch werden die FW im Ausland mindestens doppelt so viele Krankheitstage (18) wie in Deutschland (9) erleben
Die intensiven Erfahrungen können einzelne Freiwillige evtl. aus dem Tritt bringen (Loch nach Rückkehr), sowohl wenn das Jahr spitze verlief (ich will wieder ins Ausland!), als auch wenn es schwierig war
Kinder bauen eine Beziehung zu Dir auf! Dann gehst Du wieder! Vorsicht!
Sowohl politisch als auch moralisch gibt es also einige Fallstricken. Umso wichtiger ist es, dass wir alle uns der großen Verantwortung bewusst sind, die wir mit den Freiwilligendiensten tragen (gegenüber den Menschen vor Ort, gegenüber den Kindern im Projekt, gegenüber uns selbst, gegenüber dem weltwärts-Programm und natürlich gegenüber den Spendern).
Es kommt also entscheidend darauf an, wie man (s)einen Freiwilligendienst interpretiert und mit Leben füllt. Ein FWD per se ist weder gut noch schlecht. Wir halten es da mit Albert Camus: „Der Mensch ist nichts an sich. Er ist nur eine grenzenlose Chance. Aber er ist der grenzenlos Verantwortliche für diese Chance!“
Welche Nachteile bzw. welche negativen Erfahrungen bringt das Jahr eventuell auf persönlicher Ebene mit sich?
Im Ausland handelt es sich phasenweise um eine schwierige, beanspruchende Situation (manchmal überfordernd, manchmal unterfordernd, manchmal subjektiv „sinnlos“ … und selten „perfekt“)
Es wird anstrengend, unbequem, herausfordernd
Krankheiten: Man ist statistisch etwa doppelt so oft krank (18 Tage) als in Deutschland (9)
Die Konfrontation mit der Lebensrealität der Menschen ist interessant, aber teilweise auch sehr belastend: Armut, Ungerechtigkeit, soziale Missstände, zerrüttete Familien, Alkoholismus, Missbrauch, Unpünktlichkeit, sowie Perspektivlosigkeit der Jugendlichen werden Dir manchmal sehr nahe gehen.
Die Hilflosigkeit und „Kleinheit“ der eigenen Person wird einem schmerzlich bewusst.
=> Irgendwann kommt vielleicht die Erkenntnis, dass wirklich HELFEN viel schwieriger ist als gedacht
Heimweh? Manchmal wirst Du Dich fremd, allein oder unverstanden fühlen. In den ersten 6 Monaten wirst Du keine Freunde finden.
Was, wenn die erste Begeisterung verflogen ist?
Kaum hat man sich richtig eingelebt und Freunde gefunden, ist das Jahr auch schon wieder vorbei!
Der Kulturschock zurück nach Deutschland kann heftig sein (doppelte U-Curve)
Gerade wenn das Jahr spitze war, drohst Du nach Rückkehr in ein Loch zu fallen!
=> Es bedarf einer wohlüberlegten Entscheidung
Zusammenfassend lassen sich die auftretende Probleme in folgende Kategorien einteilen:
– Zwischenmenschliche Probleme (ob in der WG oder im Projekt)
– Interkulturelle Probleme: „Die spinnen doch, die Anderen!“
– Probleme, die die Freiwilligen aus ihrem alten Leben mitbringen (persönliche Vorgeschichte)
– Beziehungsprobleme
– Gesundheitsprobleme (z.B. Magen-Darm)
– Rollenprobleme: in den Einsatzländer immer als Weisser wahrgenommen zu werden (im wahrsten Sinne: „Ich kann nicht aus meiner Haut raus!“)
– Sprach- und Verständigungsprobleme
Ein Freiwilligendienst hat nicht nur Sonnenseiten. Sei Dir deshalb auch bitte über folgende möglicherweise „negativen“ Aspekte bewußt:
1.) Du wirst eine steile Lernkuve durchlaufen müssen und Dich zeitweise überfordert fühlen („Welcome to Crisis Zone!“)
2.) Es wird Tiefpunkte geben und auch punktuelle Enttäuschungen: Du wirst eine Menge Frustrationstoleranz brauchen!
3.) Andere Länder, andere Sitten. Vieles in der fremden Kultur wird Dir erstmal seltsam vorkommen. Die Gefahr ist, dass Du schnell in Stereotype abgleiten willst („Die Latinos sind alle unpünktlich!“)
4.) Es bleiben immer Restrisiken (Autounfall, Naturkatastrophe, Überfall, Bürgerkrieg, etc.)
5.) Es braucht Zeit bis man Freunde findet.
6.) Keine Rose ohne Dornen. Wir arbeiten und leben mit der Realität wie wir sie vor Ort vorfinden. Darüber jammern bringt nichts; entscheidend ist, was wir anpacken und positiv verändern können. Wer nach Ghana will, muss sich mit dem Thema Malaria beschäftigen; wer in eine Regen-Region geht, muss mit leichtem Schimmelpilz an Wänden in vielen Häusern rechnen. Das heißt nicht, dass wir Malaria oder Schimmelpilz verharmlosen wollen, aber: Informiert Euch bei unseren Ehemaligen (Euren Vorgängern) über die tatsächlichen Lebensumstände vor Ort. Wenn Du dir diese nicht zutraust, dann lass es bitte sein.
6.) Basisnahe Projekte sind niemals perfekt: Die einheimischen Mitarbeiter sind schlecht bezahlt und deshalb selten hochquaziert; die Ausstattung der Projekte ist ärmlich und der Arbeitsalltag bietet Dir selten den voll-strukturierten Ablauf eines deutschen Sozialprojektes (Du wirst Dich manchmal „etwas in der Luft hängend“ fühlen — und mehrere Monate brauchen, bis Du sinnvoll integriert bist => auch deshalb sprechen wir von LERNdienst und NICHT von Entwicklungsdienst!). Eigen-Initiative, Selbstdisziplin, Hilfsbereitschaft und Improvisationstalent sind Grundvoraussetzungen. Wir wollen ganz bewußt basisnah leben und arbeiten und akzeptieren erstmal die Realität, wie wir sie vor Ort antreffen. Wer dazu nicht bereit ist, wird sich mit unserem Konzept schwer tun. In Theorie fallen uns natürlich immer 100 Dinge ein, die besser laufen könnten. Entscheidend ist aber, was wir gemeinsam tun, um die Situation zu verbessern.
Welche Vorteile bzw. welche positiven Erfahrungen kann das Jahr mit sich bringen?
– Lebenserfahrung
– LERNEFFEKT: Einblicke in soziale Realitäten und entwicklungspolitische Zusammenhänge
– Deutlich mehr Selbständigkeit & persönliche Reife (u.a. WG-Tauglichkeit)
– Selbstfindung
– Fremdsprache & Sprachkenntnisse
– Erwerb von Interkulturelle Kompetenzen
– Entfaltung von Talenten & eigener Persönlichkeit
– berufliche Orientierung bzw. Weiterentwicklung
– Bonus im Lebenslauf
– Gestärkte Beziehungsfähigkeit
– Identitätsentwicklung (Charakterbildung)
– Improvisation & – Meistern schwieriger Situationen
– Inspiration: eigene Ideen für gute Projekte (Kickoff-Effekt)
– Selbstwirksamkeit & – Erweiterung von Horizonten
– Bewusstwerden der eigenen Privilegiertheit im globalen Kontext
– mehr Lebenszufriedenheit und Dankbarkeit auch für die kleinen Dinge des Lebens
– Entwicklungsschub: Gerade auch an Schwierigkeiten wirst Du wachsen! Wir hoffen, dass Du in diesem einen Jahr die Entwicklung von 3 Jahren hinlegst. Das heißt aber auch: Du wirst so viele schöne, frustrierende, traurige, witzige, einsame, erschütternde, herrlich-befremdliche und schwierige Momente erleben, wie normalerweise in 3 Jahren.