Nach welchen Qualitäts-Kriterien sucht WI seine Partnerprojekte bzw. die Einsatzstellen für Freiwillige aus?

Wir haben das Ziel mit „möglichst vorbildlichen“ Projekten im globalen Süden zusammenzuarbeiten, wobei wir den Vorbildcharakter „praktisch“ und nicht theoretisch definieren. Das heißt: Wenn wir uns 10 Sozialprojekte mit einer bestimmten Zielgruppe in einer Region anschauen, dann sollte unser Partner zu den besten zwei gehören (Top 20%). Wir bezeichnen dies als „relative Vorbildlichkeit“. Schließlich wollen wir „mit dem arbeiten, was da ist“. Bei allen Fehlern und Unzulänglichkeiten, die jedes Sozialprojekt an der Basis in „Entwicklungsländern“ nach deutschen Standards haben mag, verfolgen wir den Anspruch, mit qualitativ richtig guten bzw. mit den vergleichsweise besten Projekten aus dieser Gruppe zu kooperieren.

Im Jahr 2003 haben wir mit folgender Zieldefinition begonnen: Wir wollen kooperieren mit möglichst vorbildlichen und unterstützenswerten Kleinprojekten in Entwicklungsländer aus dem sozialen Bereich, die direkt an der Basis (also auf Graswurzelebene z.B. in sozialen Brennpunkten) arbeiten und so Bedürftigen vor Ort mittels sozialpraktischer Tätigkeit unmittelbar und nachhaltig helfen — und die durch ihre innovative Ansätze, Ideen und Praktiken leuchtenden Modell-Charakter für andere Kleinprojekte entwickeln können (Prinzip der Übertragbarkeit ausgehend vom Grundsatz Lokale Lösungen für lokale Probleme).
Diese Definition war uns nicht griffig genug. Wir wollten sie zu einer Checkliste ausbauen, die uns bei Projektbesuchen und Projektgesprächen als „roter Faden“ dienen könnte. Gemeinsam mit unserer Partnerin der ersten Stunde, der nicaraguanischen Schuldirektorin Elba Rivera haben wir Gütekriterien (Erfolgsparameter) definiert, die wir für sinnvolle Freiwilligendienste im globalen Süden als wichtig erachten. Wir wollen bei unseren POs möglichst viele dieser Kriterien erfüllt bzw. weitgehend ausgeprägt sehen. Die von uns gewünschten Gütekriterien sind:

 Lokale, einheimische Projekte (möglichst keine deutschen oder westlichen Export-Projekte wie SOS-Kinderdörfer, Caritas oder Deutsche Schulen)

 in Ländern des globalen Südens (LDC). Konkreter: In Ländern des globalen Südens zu denen es in unserer Initiative Menschen mit Kompetenzen, Erfahrung und Expertise gibt (folglich v.a. spanischsprachiges Lateinamerika und Südafrika, teilweise Nahost).

 Von einheimischen Menschen gegründet und geleitet. Es sind ja gerade die einheimischen Menschen vor Ort, die am besten wissen, was sie brauchen und wie und wohin sie sich entwickeln wollen (Selbstbestimmung bzw. Selbsthilfe-Projekte bzw. Stärkung einer lokalen Graswurzel-Bewegung).

 Kein West-knows-best! (nicht von Deutschen geleitet), keine koloniale Tradition verstärken oder wiederholen. 

 Stärkung des Gemeinwohls: Es entsteht durch die Projekte ein klarer „sozialer Mehrwert“, ein Nutzen, z.B. eine konkrete Hilfe für benachteiligte und bedürftige Menschen.

 EMPOWERMENT: Stärkung der Selbstgestaltungskräfte der Kinder und Jugendlichen vor Ort. 

 Non-Profit: eindeutig gemeinnützig, sozial und sinnvoll (natürlich keine Gewinnorientierung).

 Stärkung einer demokratischen, gerechten und friedlichen Zivilgesellschaft. Nicht-staatliche und nicht-kirchliche Trägerschaft.

 Wertschätzung von demokratischen und partizipativen Strukturen und Abläufen (auch intern)

 keine Missionierung und keine sonstige Indoktrination. Nach Möglichkeit mit post-kolonialem bzw. anti-kolonialem Ansatz (Dekolonisierung), z.B. Stärkung der indigenen Identität und gesellschaftlichen Pluralität.

 Bezug zur Basis: Wir arbeiten an der Basis, z.B. in sozialen Brennpunkten (also „mittendrin“)

 Hohe lokale Akzeptanz (bester Garant für unsere Sicherheit)

 Kleinprojekte: Wir kooperieren lieber mit kleinen Selbsthilfe-Initiativen als mit großen Tankern; zur Orientierung: mindestens 3 Mitarbeiter (Ausfallsicherheit!), höchstens 30.

 erwiesene „Funktionstüchtigkeit“: Die Projekte laufen bereits seit mehreren Jahren relativ erfolgreich.

 Bildungs- oder Sozialprojekte als Fokus, z.B. in Jugendhäusern, Armen-Kindertagesstätten und Bildungsprojekten, möglichst mit entwicklungspolitischer Relevanz (wünschenswert im Kontext der Millenniumsziele, z.B. Armutsbekämpfung).

 vorzugsweise von einheimischen Frauen geleitet: Stärkung der Rolle der Frau.

 Benachteiligte Kinder und Jugendliche als Zielgruppen (Straßenkinder, Waisenkinder, gefährdete Jugendliche aus Armenviertel, arbeitende Kinder, Kinder mit Behinderung, etc.).

 Zumindest mittelfristig: „No al assistenzialismo!“ (Arme werden zwar gespeist, aber in Armut gehalten, Bsp. Argentinien unter Präsidentin Kirchner => dies lehnen wir ab).

 Stattdessen: Ownership-Mentalität und Empowerment der Zielgruppen

 Geleitet mit HERZ und KOMPETENZ: Gute und konstruktive Atmosphäre.

 Modellcharakter (vorbildlich relativ zu lokalen Vergleichsprojekten)

 Ausreichend Möglichkeiten zur sozialpraktischen Mitarbeit für unsere Freiwilligen (Achtung: Nicht jedes tolle Projekt ist auch ein gutes Freiwilligenprojekt, z.B. Chiapas): Direkte Interaktion zwischen unseren Freiwilligen und den Zielgruppen (keine ausgeprägte Hausmeister-, oder Verwaltungstätigkeit). Das soziale Setting und die praktische Interaktion bergen das größte Lernpotential („entwicklungspolitische Lerndienste“). Unsere Freiwilligen sollen direkt und praktisch mit Menschen zu tun haben.

 Abwechslungsreiche und sinnvolle Tätigkeiten und Aufgaben

 Altersgemäße Aufgaben: Massive Unterforderung oder Überforderung werden vermieden (z.B. durch Erfolgsrezept Puzzle-System und Wahlpflicht-Charakter: Es gibt eine Vielzahl an Aufgaben und damit eine gewisse Mitbestimmung der FW gemäß ihren Fähigkeiten und Interessen. Downgrades und Upgrades im Schwierigkeitsgrad der Arbeit sind möglich, z.B.: Wer mit den harten 16-Jährigen von der Straße überfordert ist, kann meist in die Gruppe der „lieben“ 10-Jährigen wechseln).
 Arbeitsmarktneutralität: Die Freiwilligen ersetzen keine einheimischen Arbeitsplätze, sondern bieten ein zusätzliches, ergänzendes Angebot, das die vorhandene Projektarbeit sinnvoll ergänzt und unterstützt (Mehrwert „on top“). Verbindliche und schriftliche Selbstverpflichtung durch PO und Nachfragen bei FW und Projektmitarbeiter_innen.

 Mitgestaltungsmöglichkeiten: FW können punktuell auch eigene Ideen und Talente einbringen und ohne Angst vor Scheitern eigene kleine Projekte ausprobieren (4+1).

 Kompatibilität mit unserem humanistischem und humoristischem Ansatz MENSCH, BILDUNG und KREATIVITÄT

 Fachliche Anleitung: eine angemessene Anleitung, Supervision und Betreuung der Freiwilligen im Projekt ist sichergestellt (Personal, Kompetenz und Zeit).

 Einblicke in entwicklungspolitische Themen oder Zusammenhänge bieten oder unmittelbar erfahrbar machen.

 Idealerweise in einer mittelgroßen Stadt gelegen, wegen förderlichen Bildungs-, und Freizeitangeboten für unsere FW, Vernetzung und Freundschaften mit Gleichaltrigen, und v.a. wegen Notfall-Infrastruktur wie Ärzte, Krankenhäuser und Mentoren-Netz. Keine Isolation der FW auf dem Land, in den Bergen oder im Regenwald. Nur wenn unsere Jugendlichen sich richtig wohl fühlen, werden sie auch richtig gute Arbeit leisten. Millionen-Metropolen sind zwar pulsierend und spannend, aber oft auch anonym und gefährlich. Eine mittelgroße Stadt mit einheimischer Universität (einheimischen Studenten im Alter unserer FW!), positivem Lebensgefühl, wenig ausländischen Touristen, guter Sicherheitslage, akzeptablen klimatischen Bedingungen und natürlich mit ausgeprägter Bedürftigkeit, sozialen Ungerechtigkeiten und Unterschieden scheint uns ein sinnvoller Lernort und Arbeitsort für unsere Freiwilligen.

  Einschätzung der Sicherheitslage als „gut vertretbar“, sowohl aufgrund unserer praktischen Erfahrung vor Ort als auch aufgrund der Empfehlungen des Auswärtigen Amtes (AA). Achtung: Sollte zweimal pro Jahr gecheckt werden.

 Visa: Eine angemessene Aufenthaltsgenehmigung (FW-Visum) muss für dieses Gastland möglich und praktikabel sein (Negativ-Beispiel Brasilien). K.O.-Kriterium.

 Völkerverständigung: Ein Umfeld in dem Begegnungen von Mensch zu Mensch – Brücken der Freundschaft — möglich werden, bilateral (z.B. deutsch-argentinisch) und wenn möglich auch trilateral (z.B. Israelis, Palästinenser und Deutsche. Oder: Dominikaner, Haitianer und Deutsche. Oder: weiße und schwarze Südafrikaner und deutsche Jugendliche). Friedensarbeit soll konkret erfahrbar werden.

 Vom Süden lernen & Stärkung des Eine-Welt-Gedankens: Wird hier eine Gesamterfahrung ermöglicht, die GLOBALES LERNEN und RÜCKKEHRER-ENGAGEMENT wahrscheinlich macht? (Transfer bzw. Transfair-Leistung).

 Lern-Orientierung und Fehler-Toleranz: Lernprozesse sollen möglich sein und gefördert werden. Lernen geschieht oft am besten aus eigenen Fehlern (auch und gerade bei unseren jugendlichen Freiwilligen). Wir wollen uns gegenseitig diese Lernkurven zugestehen und Fehler verzeihen (Selbstverständnis als Lernende Organisation).

 Wird Kritisches Hinterfragen gefördert? Werden soziale, politische oder wirtschaftliche Zusammenhänge erfahrbar bzw. kritisch hinterfragt (z.B. bezüglich Kinderarbeit, Umweltausbeutung oder Kolonialgeschichte).

 Wechselseitigkeit und Augenhöhe zumindest als angestrebtes Ideal und Ziel aller beteiligten Partner („Sternenfasser“)

 Sinnzentrierung: Freiwilligen- und Friedensdienste sollten Sinn machen, und zwar: für alle Beteiligten (im existentialistischen Sinne Viktor Frankls).

 Lebensfreude: Wir wollen mit Menschen leben und zusammenarbeiten, die unsere Herzen berühren (Freundschaft und interkulturelle Verständigung)

 Bauchgefühl: Hätte ich tierisch Bock in diesem Projekt meinen FWD zu machen?

 Absichtlich kein Auswahlkriterium: Ob die PO in der Lage ist, sich an den Kosten der FWD zu beteiligen und Essen und/oder Unterkunft zur Verfügung stellen kann. Tolle Kleinprojekte sollen nicht aufgrund ihrer sehr begrenzten Mittel ausgeschlossen werden. Die POs sollen tolle Ideen, abwechslungsreiche Aufgaben, gute fachliche Anleitung und spannende Lernräume für unsere FW mit einbringen – und wir kümmern ums gerne auch um die Finanzierung von externer Unterkunft und Verpflegung.